Einbettung menschenwürdiger Arbeit in Unternehmensprozesse und -systeme
Dilemmata in Bezug auf menschenwürdige Arbeit lösen
Risiken und Chancen
Viele Einkäufer*innen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen sozialer Verantwortung und Wirtschaftlichkeit. Sie müssen Beschaffungsentscheidungen unter Kostendruck treffen und gleichzeitig die Ziele hinsichtlich sozialer Verantwortung des Unternehmens erfüllen. Dies kann sich oft so anfühlen, als würde von ihnen erwartet, widersprüchliche Ziele zu erfüllen.
- Eine Geschäftseinheit hat mich gebeten, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu beschaffen, aber ich kann sehen, dass der Preis oder die Zeitvorgaben, die sie im Sinn hat, menschenwürdige Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter*innen des Lieferanten untergraben könnten (d.h. der Lieferant wird wahrscheinlich nicht in der Lage sein, unseren Verhaltenskodex für Lieferanten einzuhalten).
- Ein Lieferant will unseren Auftrag und bietet daher einen niedrigen Preis an, von dem ich weiß, dass er seine Fähigkeit beeinträchtigen kann, seinen Mitarbeiter*innen menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
- Der Lieferant hat einen Preis und einen Zeitrahmen angeboten, der es ihm ermöglicht, seinen Mitarbeiter*innen faire Löhne zu zahlen und übermäßige Überstunden zu vermeiden, aber meine Einsparziele bedeuten, dass ich einen besseren Preis erzielen muss1.
- Im Allgemeinen werde ich gebeten, dafür zu sorgen, dass Zulieferbetriebe den Verhaltenskodex meines Unternehmens für Lieferanten einhalten, aber auch Produkte und Dienstleistungen so billig wie möglich einzukaufen.
- Die Anwendung meines Verhaltenskodex für Lieferanten (oder einer anderen Policy zum Thema menschenwürdige Arbeit) durch den Lieferanten ist mit Kosten verbunden, aber mein Unternehmen ist nicht bereit, die Zahlung zur Deckung dieser Kosten zu erhöhen (z.B. wenn PSA - Persönliche Schutzausrüstung - erforderlich ist). Ich weiß nicht, wie ich dieses Gespräch führen soll, wenn der Lieferant es zur Sprache bringt.
- Wir beschaffen ein Produkt/eine Dienstleistung aus einer einzigen Quelle, wobei ein Anbieter faktisch eine Monopolstellung innehat. Dieser Anbieter weist Defizite bei den Arbeitsbedingungen seiner Mitarbeiter*innen auf und zeigt keine Bereitschaft zur Verbesserung.
- Wir haben keine Möglichkeit sicherzustellen, ob faire Preise zur Unterstützung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen beitragen. Zum Beispiel könnte unser Lieferant seinen Arbeitnehmer*innen nicht unbedingt die bestmöglichen Löhne zahlen, selbst wenn der Preis mit dem Ziel erhöht wurde, um dem Lieferanten zu helfen, die Lohnerhöhung abzudecken.
- Wir haben keine Einsicht in die Kostenaufschlüsselung unserer Zulieferer und sie sind nicht bereit, diese Informationen bereitzustellen. Daher wissen wir nicht, was ein fairer Preis ist.
- Wir arbeiten hauptsächlich mit Zwischenhändlern zusammen, welche die Produktionsstätten nicht offenlegen wollen.
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Für die Elemente, die bei der Festlegung der Löhne zu berücksichtigen sind, siehe MNE-Erklärung der ILO, Absatz 41. ↩
Entdecken Sie verschiedene Einkaufsdilemmata, die bei der Entwicklung eines nachhaltigen Beschaffungsansatzes zu berücksichtigen sind
Jeder dieser Fälle stellt für Sie als Einkäufer*in eine heikle Situation dar. Sie erfordern, dass Sie ein Ziel (Erzielung besserer sozialer und nachhaltiger Ergebnisse in der Lieferkette) mit einem anderen Ziel (Erzielung des besten Preises und schnellster Lieferzeiten für das Unternehmen) in Einklang bringen - oft ohne explizite Anleitung, wie dies zu bewerkstelligen ist.
Wie können Sie mit diesen Dilemmata umgehen?
Die kurze Antwort ist, dass Sie diese Probleme oft nicht leicht allein lösen können - Sie müssen sie auf die Ebene Ihrer/Ihres Managers*in oder der Leitung Ihres Beschaffungsteams heben und manchmal wird dies zu Diskussionen in der obersten Führungsetage Ihres Unternehmens führen. Die oben skizzierten Dilemmata mögen sich zwar auf Ihre unmittelbaren Kaufentscheidungen beziehen, sie hängen aber auch mit den Strukturen und Prozessen Ihres Unternehmens zusammen. Sie - als Einkäufer*in auf sich allein gestellt - werden nicht in der Lage sein, alle Aspekte der Schaffung positiver, für beide Seiten vorteilhafter Beziehungen mit Lieferanten zu behandeln, die deren Arbeitnehmer*innen menschenwürdige Arbeitsmöglichkeiten bieten. Letztendlich kann die Sicherstellung einer nachhaltigen Beschaffung eine Änderung der Kultur Ihres Unternehmens erfordern, um anzuerkennen, dass es verschiedene, vorteilhafte Wege zur Herstellung von Waren oder Dienstleistungen gibt.
Für sofortige Kaufentscheidungen
Führen Sie ein Gespräch mit den Personen, die Ihnen bei der Lösung des Dilemmas helfen können. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Ihre*n Chef*in oder Manager*in, der Ihre KPIs und Einsparziele festlegt. Wenn Sie wissen, dass Ihr Unternehmen ein Team für verantwortungsvolle Beschaffung/soziale Impacts/soziale Nachhaltigkeit/CSR hat, setzen Sie sich mit diesem in Verbindung, um ihre fachkundige Anleitung zu erhalten. Wenn Sie unsicher sind, ob diese Funktion existiert, hören Sie sich um, um die richtigen Ansprechpersonen zu finden. Einige Ideen für den Beginn eines Gesprächs mit Ihrer/Ihrem Chef*in oder Manager*in könnten sein:
- "Ich wollte mit Ihnen über die Kaufentscheidung für das Produkt XYZ sprechen. Ich möchte sicherstellen, dass wir für alle Beteiligten das beste Ergebnis erzielen."
- "Die anfordernde Einheit A hat um die Lieferung bis zum Termin X gebeten, was für die Lieferanten kurzfristig ist. Ich bin besorgt, dass wir durch die Festlegung dieses Termins die Mitarbeiter*innen des Lieferanten zu übermäßigen Überstunden veranlassen, was nicht im Einklang mit unserer Verpflichtung zur Unterstützung menschenwürdiger Arbeit in unserer Lieferkette ist. Darüber hinaus kann die Qualität der Produkte leiden, wenn die Herstellung übereilt geschieht. Wir müssen mit Einheit A diskutieren, was die Gründe für diese kurze Vorlaufzeit sind und ob es Raum für eine Verlängerung gibt. Wenn sie nicht angepasst werden kann, müssen wir mit den Zulieferern zusammenarbeiten, um die beste Produktqualität und keine Verschlechterung der Arbeitsnormen zu gewährleisten".
- Rechnen Sie es sich aus: Berechnen Sie anhand dessen, was Sie über Produktions- und Betriebskosten, einschließlich Lohnzahlungen, wissen, ob die Zahl Sinn ergibt. "Wir haben einen Lieferanten, der Preis X für die von Ihnen angeforderten Produkte angeboten hat. Das ist bei weitem das niedrigste Angebot, das wir haben, aber bei diesem Preis gibt es keine Möglichkeit, die Kosten für faire Löhne für die Mitarbeiter*innen des Lieferanten zu decken. Beim derzeitigen Preis werden faire Löhne schwer zu erreichen sein. Der Lieferant bietet diesen Preis an, um sicherzustellen, dass sie unseren Auftrag bekommen, aber es steht nicht im Einklang mit unserer Unternehmensverpflichtung, menschenwürdige Arbeit zu unterstützen, wenn wir sie ermutigen, die Preise auf ein Niveau zu senken, bei dem sie möglicherweise Kompromisse bei den Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter*innen eingehen. Ist es in Ordnung, wen ich mit dem Anbieter darüber ein Gespräch führe? Und wenn dieser mir nicht versichern kann, dass zu diesem Preis unsere Erwartungen an menschenwürdige Arbeit erfüllt werden können, kann ich entweder und unter der Bedingung, dass dies geschieht, einem höheren Preis zustimmen, oder einen anderen Anbieter wählen? Wir müssen unsere Werte als Unternehmen leben, und dies wäre eine gute Gelegenheit, dies in die Praxis umzusetzen. Was denken Sie?"
- "Ich hatte gehofft, Sie könnten mir helfen, ein Dilemma zu lösen, das ich bei der Kaufentscheidung für Dienstleistung XYZ habe. Lieferant A bietet Preis X an. Das ist ein fairer Preis, der es dem Lieferanten ermöglicht, seinen Beschäftigten einen fairen Lohn zu zahlen, der unseren Anforderungen an menschenwürdige Arbeit entspricht. Gleichzeitig bedeuten meine Einsparungsziele, dass ich versuchen sollte, den Preis weiter zu senken. Ich zögere, dies zu tun, da sie ein guter Lieferant sind, der seine Mitarbeiter*innen gut behandelt, was wir fördern sollten. Aber ich will auch nicht, dass meine Bonuszahlung darunter leidet, wenn ich meine Spar-KPIs nicht erreiche. Wie können wir dieses Problem lösen?"
- "Der Lieferant für das Produkt XYZ weist Defizite bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auf und zeigt keine Bereitschaft zur Verbesserung. Sie sind der einzige Lieferant, den wir derzeit für dieses Produkt haben, sodass es schwierig wäre, sie zu ersetzen. Wir sollten darüber sprechen, welche Ansätze wir verfolgen könnten, um die Situation bei diesem Lieferanten zu verbessern - und wenn dies nicht möglich ist, andere Optionen für die Beschaffung dieses Produkts aufzeigen. Ich werde ein Treffen mit unserem Responsible Sourcing Team arrangieren".
- "Ähnliche Situationen kommen immer wieder vor, für alle von uns Einkäufer*innen, und wir haben keine spezifische Anleitung, wie wir damit umgehen sollen. Wie könnten wir Ihrer Meinung nach einige Grundsätze aufstellen, die uns bei künftigen Entscheidungen wie dieser helfen?"
- "Wir haben keine Ahnung, wo unsere Produkte hergestellt werden. Können wir mehr Transparenz in unserer Lieferkette erreichen, indem wir direkt mit den Lieferanten zusammenarbeiten?"
Hier finden Sie Beispiele für Gesprächsbeginne mit Ihrem Managementteam, die dabei helfen, Dilemmata menschenwürdiger Arbeit zu addressieren.
Langfristig sollte das Ziel sein:
- Ein Geschäftsmodell, das bessere Arbeitsbedingungen für Arbeiter*innen unterstützt und die Achtung der grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit fördert
- Eine Unternehmensstruktur und Unternehmensprozesse, die einen verantwortungsvollen Einkauf ermöglichen
- Eine gute Kommunikation zwischen den Teams, mit konsistenten Botschaften an die Lieferanten
- Ein unternehmensweites Verständnis darüber, wie sich Einkaufspraktiken auf Arbeiter*innen auswirken
- Eine transparente Lieferkette
Um dies zu erreichen, müssen Sie - oder diejenigen, die am besten in der Lage sind, dies zu initiieren - einen Prozess starten, der die richtigen Personen zusammenbringt, um herauszufinden, wie man die widersprüchlichen Anforderungen erfolgreich ausbalancieren kann. Jede Person, die eine Rolle bei der Festlegung und Ausführung dessen spielt, was von Ihrem Unternehmen wann, wie und warum eingekauft wird, sollte Teil dieser Diskussion sein. Nachstehend finden Sie Strategien zur Lösung von Dilemmata.
Strategien zur Lösung von Dilemmata
- Ihr Unternehmen wird, wie jedes andere auch, in verschiedene Richtungen gezogen. Unterschiedliche Agenden können miteinander in Konflikt geraten, auch wenn sie alle legitim sein mögen. Die Werte und Ziele Ihres Unternehmens können Ihnen helfen, sich in dieser Komplexität zurechtzufinden.
- Kartographieren Sie typische Einkaufssituationen und ermitteln Sie, wann und wo es derzeit zu Konflikten kommt oder in Zukunft kommen kann (dies kann die rechtliche Haftung für die Nichtgewährleistung menschenwürdiger Arbeit einschließen).
- Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Funktionen und Aufgabenbereichen - von der Beschaffung und dem nachhaltigen Lieferkettenmanagement bis hin zum Vertrieb und den fachlichen sowie Finanz- und Rechtsteams - ist der Schlüssel für die Unterstützung menschenwürdiger Arbeit in der gesamten Lieferkette.
- Beziehen Sie, wenn möglich, Führungskräfte aus den verschiedenen Funktionen ein.
- Um künftige Konflikte zu addressieren und zu lösen, erwägen Sie die Schaffung eines "Ausschusses für verantwortungsvolle Beschaffung" - mit Vertreter*innen aller Funktionen und einer Vielfalt von Perspektiven und Hintergründen. Beispielsweise könnte ein rein männlicher Ausschuss weniger geneigt sein, die spezifischen Auswirkungen von Überstundenarbeit für Frauen anzuerkennen.
- Konsultieren Sie weitere Stakeholder, die möglicherweise über umfangreiche Erfahrung in Bezug auf die Minderung von arbeitsrechtlichen Risiken durch verbesserte Einkaufspraktiken verfügen, wie z.B. globale Gewerkschaften, Brancheninitiativen oder einschlägige NGOs.
Kooperation für die Entwicklung von Lösungen, die Ihren ethischen Standards und den wirtschaftlichen Zielen Ihres Unternehmens entsprechen
- Lassen Sie sich von den Werten und dem Purpose Ihres Unternehmens leiten.
- Behalten Sie die Unternehmenspolicies und -verpflichtungen im Blick.
- Einigen Sie sich auf Prinzipien, die Ihnen helfen werden, widersprüchliche Anforderungen in realen Situationen auszugleichen.
- Öffnen Sie Kanäle für Mitarbeiter*innen, um auftretende Interessenkonflikte zur Sprache zu bringen.
- "Ausschuss für verantwortungsvolle Beschaffung", um entsprechendes Feedback zu addressieren, sobald es sich aufkommt.
- Fördern Sie die Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen bei Ihren Lieferanten.
- Schauen Sie, was Sie von den Erfahrungen und bewährten Praktiken anderer Unternehmen lernen können.
- Erwägen Sie die Inanspruchnahme externer Expertise zur Minderung von arbeitsrechtlichen Risiken durch verbesserte Einkaufspraktiken, z.B. Gewerkschaften oder Brancheninitiativen.