Tool 1

Die Bedeutung von
“menschenwürdiger Arbeit für alle”


Häufig gestellte Fragen

  • Warum ist menschenwürdige Arbeit über den Nutzen für mein Unternehmen hinaus wichtig?

    Rund zwei Milliarden Menschen auf der Welt – mehr als 25 % der Weltbevölkerung – sind Teil von globalen Wertschöpfungsketten oder durch ihre Familien oder Gemeinden mit ihnen verbunden.1 Diese Menschen möchten gesund und sicher sein, bei der Arbeit fair behandelt werden und ihren Kinder eine gute Zukunft bieten.

    Unternehmen, die menschenwürdige Arbeit in der Lieferkette fördern, können das Leben vieler Menschen verbessern – und nachhaltige Entwicklung vorantreiben.2 Unternehmenserfolg ist eng mit dem Wohlstand der Gemeinschaften, in denen ein Unternehmen aktiv ist, verbunden. Langfristig können Unternehmen nur gedeihen, wenn Gesellschaften gedeihen.

    Die Sicherstellung von menschenwürdiger Arbeit wird:

    • Ungleichheiten und Konflikte reduzieren und die Resilienz in der Gesellschaft erhöhen
    • Zu friedlichen und inklusiven Gesellschaften beitragen
    • Abeitsbedingungen und -möglichkeiten für alle Frauen und Männer verbessern
    • Zu Geschlechtergerechtigkeit und der Stärkung von Frauen beitragen, da Frauen in globalen Lieferketten überproportional Missbräuchen ausgesetzt sind
    • Individuen und Familien erlauben, ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen, ihre Kinder zur Schule anstatt zur Arbeit zu schicken, und finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben, die in die die lokale Wirtschaft reinvestiert werden können
    • Steuereinnahmen für Regierungen erhöhen, damit sie in Bildung, Ausbildung, Kapazitätenaufbau, Entwicklung der Infrastruktur und Gesundheit investieren können, was gut ausgebildete Arbeitskräfte und ein nachhaltiges Arbeitsumfeld garantiert
    • Das Wachstum und die Entwicklung von Unternehmen unterstützen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen, damit sie mehr Mitarbeiter*innen anstellen und diese ihren Lohn sowie Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern können, während dadurch auch die lokale und nationale Wirtschaft gestärkt wird

    Fußnoten
    1. Professor John Ruggie, keynote address zum 2016 UN Forum on Business and Human Rights 

    2. Decent work and the 2030 Agenda for Sustainable Development, ILO 

  • Was ist mit dem unterschiedlichen Druck, dem ich als Einkäufer*in ausgesetzt bin?

    Als Einkäufer*in haben Sie vielleicht das Gefühl, dass Sie in Ihrem Unternehmen widersprüchliche Ziele verfolgen. Auf der einen Seite wird von Ihnen erwartet, dass Sie Kosteneinsparungen erzielen, auf der anderen Seite werden Sie dazu angehalten, bessere Arbeitsbedingungen in der Lieferkette fördern.

    Wir sprechen über diese scheinbaren Dilemmata in Tool 3: Einbettung menschenwürdiger Arbeit in Unternehmensprozesse und -systeme.

  • Mein Unternehmen verfügt bereits über einen Verhaltenskodex für Zulieferer und Systeme zur Überwachung der Einhaltung. Was muss ich sonst noch tun?

    Kodizes über Arbeitsbedingungen, Verhaltenskodizes für Lieferanten, Managementsysteme für die Einhaltung von Vorschriften durch Lieferanten, Lieferantenaudits, Zertifizierungsprogramme - Ihr Unternehmen verfügt möglicherweise über all dies. Fragen Sie sich selbst: Wie effektiv helfen sie Ihnen, Risiken in Ihren Lieferketten und über Ihre direkten Lieferanten hinaus zu erkennen und anzugehen, und wie effektiv ist die Strategie Ihres Unternehmens, die Arbeitsbedingungen zu beeinflussen?

    Diese traditionellen, Compliance-basierten Nachhaltigkeitsbemühungen in der Lieferkette sind ein guter Ausgangspunkt, reichen aber möglicherweise allein nicht aus, um Risiken zu erkennen und anzugehen, auch über Ihre direkten Zulieferer hinaus. Außerdem werden fundamentale Prinzipien und Rechte bei der Arbeit in Verhaltenskodizes von Zulieferern oft nicht berücksichtigt. Dennoch stellen Vereinigungsfreiheit und wirksame Anerkennung von Kollektivverhandlungen Katalysatoren für andere Rechte dar, da sie es ermöglichen, Defizite bei menschenwürdiger Arbeit zu erkennen und Lösungsansätze für deren Behebung zu finden.

    Um Herausforderungen mit Blick auf Arbeitsbedingungen in den weiter vorgelagerten Stufen Ihrer Lieferkette zu identifizieren und anzugehen, müssen Sie möglicherweise einen anderen Ansatz wählen, der sich auf die Unterstützung, das Wissen und das Engagement Ihrer Lieferanten stützt, um menschenwürdige Arbeit voranzubringen. Die Abkehr von einem auf Compliance und Sanktionierung ausgerichteten Ansatz hin zu einem engagierten Ansatz kann zu echten Veränderungen führen.

    Es ist wichtig, die Rolle der Regierung, insbesondere der Arbeitsaufsichtsbehörde, hervorzuheben, um die vollständige Einhaltung der Gesetze und Vorschriften zu gewährleisten. Unternehmen können in Synergie mit ihnen zusammenarbeiten, um die systemischen Ursachen für Defizite bei menschenwürdiger Arbeit zu erkennen, zu verstehen und zu bekämpfen.

    Zu den Nachteilen eines rein auf Compliance fokussierten Ansatzes gehören:

    • Technische und strukturelle Mängel der Auditprogramme behindern nachhaltige Verbesserungen, die von auditierten Unternehmen wirklich mitgetragen werden
    • Die mittel-/langfristigen Kosten der Überwachung und Durchsetzung übersteigen den kurzfristigen Nutzen (Kontrolle und Einhaltung)
    • Die Einhaltung von Mindeststandards bringt kein tieferes Verständnis für schlechte Arbeitsbedingungen und ihre Ursachen
    • In der Lieferkette können sich Monitoring und Auditierung negativ auf die Lieferanten-Kunden-Beziehungen auswirken
    • Es ist unwahrscheinlich, dass Unternehmen, die sich für einen Compliance-Ansatz entscheiden, proaktiv an Menschenrechtsrisiken herangehen
    • Die Erfüllung externer Mindesterwartungen wirkt demotivierend und behindert die Entwicklung von Ambitionen und Visionen
  • Was sind Grenzen von Audits und Zertifizierungsprogrammen?

    In den letzten 20 Jahren ist es für Unternehmen immer mehr zum Mainstream geworden, Audits der Arbeitsstätten ihrer Zulieferbetriebe in Auftrag zu geben, um Verbraucher*innen, Investor*innen und Aktivist*innen zu zeigen, dass ihre Produkte "ethisch" sind. Marken und ihre Lieferanten wenden viel Geld und Zeit für Audits auf, die viele Wirtschaftsvertreter*innen selbst als unzureichend und ineffektiv bei der Bekämpfung systemischer Defizite im Bereich der Menschen- und Arbeitsrechte und ihrer Ursachen bezeichnen. Dabei ist das Verständnis der Grundursachen von wesentlicher Bedeutung, um diejenigen Maßnahmen zu ermitteln, die für wirksame Verbesserungen erforderlich sind.

    Audits allein können das wahre Bild der Arbeitsbedingungen nicht enthüllen, da sie eine Momentaufnahme einer bestimmten Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellen. Bei im Voraus angekündigten Audits könnten Situationen wie z.B. exzessive Überstunden oder Kinderarbeit übersehen werden, und ein mangelndes Vertrauen in die Auditoren oder die Unabhängigkeit des Prozesses könnte Arbeitnehmer*innen dazu veranlassen, Managementprobleme zu verbergen. Es gibt auch Bedenken in Bezug auf Audit-Betrug: Manager*innen fälschen Aufzeichnungen über gezahlte Löhne und Arbeitsstunden, manchmal mit dem Einverständnis skrupelloser Auditor*innen oder von Arbeiter*innen, die geschult sind, auf die Frage, wie sie behandelt werden, die "richtigen" Antworten zu geben.

    Viele Unternehmen haben auf diese Herausforderungen reagiert, indem sie wirksame Methoden entwickelt haben, um Compliance- und Managementprobleme aufzudecken, z.B. durch die Durchführung von randomisierten, nächtlichen oder Nachbarschaftsaudits und indem sie einen sicheren Raum für Arbeitnehmer*innen geschaffen haben, in dessen Rahmen diese mit Hilfe gut ausgebildeter, unabhängiger Prüfer*innen und unter besonderer Berücksichtigung kultureller, geschlechtsspezifischer oder anderer Arten von Besonderheiten diskutieren können. Insgesamt und selbst bei den besten Absichten besteht jedoch die Gefahr, dass Audits zu einer reinen Pflichtübung werden, wenn sie von dem Wunsch getrieben sind, einen Lieferanten zu zertifizieren, anstatt wirklich zu versuchen, die Arbeitsbedingungen zu beurteilen. Lieferantenaudits sind auch kostspielig und zeitaufwändig, und Lieferanten können sich schnell von der Anzahl der Audit-Anforderungen verschiedener Kund*innen überfordert fühlen, was zur sogenannten "Audit Fatigue" beiträgt und zu mangelndem Engagement führen kann.

    Audits können robuste Systeme menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht zur Identifizierung und Bewertung von Risiken und Auswirkungen nicht ersetzen, können aber ein nützliches Instrument zur Überwachung der Arbeitsbedingungen in den Arbeitsstätten von Zulieferbetrieben sein.

  • Warum sind Engagement und Dialog wichtig?

    Wenn Sie gute Beziehungen zu Ihren Direktlieferanten haben, wird es viel einfacher sein, die Risiken in Ihrer tieferen Lieferkette zu erkennen und anzugehen sowie Zulieferbetriebe zu guten Praktiken zu verpflichten, um den Schutz von Arbeitnehmerrechten zu gewährleisten. Der Aufbau von Vertrauen, Offenheit und Transparenz zu und mit Ihren Lieferanten wird Ihnen dabei helfen:

    • Risikoreichere Lieferketten abzubilden
    • Defizite bei menschenwürdiger Arbeit zu identifizieren
    • Zu verstehen, ob lokale Vermittler zur Identifizierung von Subunternehmen oder zur Einstellung von Arbeitnehmer*innen eingesetzt werden und welche Praktiken sie anwenden
    • Bei der Identifizierung und Bekämpfung von Grundursachen zusammenzuarbeiten
    • Feedback zu Ihren Einkaufspraktiken einzuholen sowie dazu, ob diese sich nachteilig auf Rechte der Arbeiter*innen auswirken
    • Gegebenenfalls bei der Beseitigung negativer Auswirkungen zusammenzuarbeiten
    • Verbesserungen in der Praxis zu verfolgen
  • Was haben die Einkaufspraktiken meines Unternehmens damit zu tun?

    Natürlich sind es die Zulieferbetriebe, die ihr Verhalten gegenüber ihren eigenen Mitarbeiter*innen ändern müssen.

    Unternehmen können menschenwürdige Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter*innen von Zulieferbetrieben erheblich beeinflussen, indem sie ihre Einkaufspraktiken anpassen. Einkaufspraktiken, die in erster Linie auf niedrigere Preise und kürzere Vorlaufzeiten ausgerichtet sind, bergen ein größeres Risiko, sich negativ auf die Arbeitsbedingungen auszuwirken. Die Zahlung eines fairen Preises, das Bemühen um pünktlich eintreffende Bestellungen, die Vermeidung kurzer Vorlaufzeiten oder Änderungen in letzter Minute und die Unterstützung von Lieferanten bei der effektiven Planung ihrer Produktion und Belegschaft tragen dazu bei, niedrige Löhne, prekäre Verträge, ungeplante Ausfallzeiten oder übermäßige Überstunden zu vermeiden. Pünktliche Zahlungen an Ihre Lieferanten, langfristige Geschäftsverpflichtungen und beständige Auftragsvolumina sind alle Teil des Aufbaus einer vertrauensvollen Beziehung.

  • Welche Verantwortlichkeiten und rechtlichen Pflichten haben Unternehmen, Arbeitsbedingungen zu verbessern?

    Internationale Standards und Gesetze erhöhen die Bedeutung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und Menschenrechten bei betrieblichen Entscheidungen. Die UN Leitprinzipien über Wirtschaft und Menschenrechte erfordern, dass Unternehmen die Auswirkungen ihrer Einkaufspraktiken auf Arbeiter*innen in ihrer Lieferkette verstehen und angehen. Diese Auswirkungen sind nicht auf Tier 1 limitiert – die Verantwortung besteht überall dort, wo es eine direkte Verbindung gibt (z.B. ein abgebautes Mineral wird in Ihrem Produkt verwendet). Gesetzesrahmen in mehreren Ländern beginnen ebenfalls damit, diese Anforderung aufzunehmen, wie z.B. die australischen und britischen Modern Slavery Acts, das niederländische Gesetz über die Sorgfaltspflicht zu Kinderarbeit, das französische Sorgfaltspflichtengesetz und die EU-Richtlinie über die Offenlegung von nicht-finanziellen Informationen und Informationen über die Diversität durch große Unternehmen. In unserer globalisierten und miteinander verbundenen Welt müssen Unternehmen Verantwortung für jegliche Auswirkungen, die ihre Einkaufspraktiken entlang ihrer Lieferketten haben, übernehmen.